NATHAN DER WEISE • LESSING

NATHAN DER WEISE • LESSING

Premiere – Samstag, 30. Oktober 2010

Regie: Georg Schmidleitner, Bühne: Florian Papst, Dramaturgie: Kathrin Mädler

Ich spiele die Rolle des Nathan.
Foto © Marion Bührle

Inhalt

Stoffe aus Babylon, Ringe und Ketten aus Damaskus und Geld, viel Geld bringt der reiche Jude Nathan mit von seiner Reise in den Orient. Er scheint in paradiesischen Zuständen mit seiner angenommenen Tochter Recha und der Haushälterin Daja zu leben. Doch während seiner Reise wurde durch einen Brand nicht nur sein Wohnhaus beschädigt, sondern beinahe auch Recha getötet. Wie durch ein Wunder konnte ein Tempelherr sie aus den Flammen retten, so dass Nathan ihm zu tiefstem Dank verpflichtet ist. Selbstverständlich möchte Nathan den jungen Lebensretter belohnen, doch dieser will nichts von einem Juden wissen. Unversöhnlich stehen seit alters her Christen, Juden und Muslime einander in Jerusalem gegenüber und gemeinsame Geschäfte schüren eher noch den Hass und Neid. Aber da die Staatskassen wieder einmal leer sind, wundert Nathan sich nicht, dass der Sultan, der von Nathans erfolgreicher Geschäftsreise hörte, ihn zu einer Unterredung bittet. Doch mit Erstaunen muss Nathan feststellen, dass es diesmal nicht um Geld, sondern um Wahrheit geht. Der Jude soll dem Moslem die wahre Religion nennen! Nathan wittert eine Falle und beginnt mit einem Märchen – der Parabel von den drei Ringen – und beschreibt so seine Utopie von der gleichberechtigten Koexistenz unterschiedlicher Religionen, Ideologien, Nationen oder Staaten.

Kritik

Nach der Premiere ist sicher, dass es nicht um Limonade ging – eher um starken Tobak. Das „dramatische Gedicht“ mit dem Stoff, aus dem die Sonntagsreden sind, wirkt wie durchgerüttelt. Was der Dichter im poetisch aufgehellten Märchen erzählte, steht nicht mehr als Klassik-Denkmal auf der Bühne. Seine Philosophie thematisiert die eigene Fragwürdigkeit. Und siehe da: Die Kunst schafft sich nicht ab. „Krieg, Feuer, Zerstörung“ ist der Ausgangspunkt der Leiden. Dazu braucht es keine Jerusalem-Dekoration, sagt der Regisseur, das ist immer währende Realität. Er löst die Konstruktion aus großer Sprache auf schlichter Handlung ebenso auf wie die Dominanz des einsamen Bescheidwissers. Im Hintergrund der weiten, von Projektionen beflimmerten Szene Stefan Brandtmayrs versammelt sich ein Workshop von Leitkultur-Analysten, die sich des Textes bemächtigen. Mit allen Stimmen gleichzeitig abschmeckend, oft auch mit dem Solo einer Figur, die dann in besonders kräftiger Charakterfarbe herausleuchtet.
[…]
Frank Damerius tritt an entscheidenden Stellen als Nathan-Prototyp vor. Bei der Ring-Parabel ist er Kommandant einer Propagandaschlacht. Ohne PR geht eben gar nichts.
[…]
Am Ende, wo Lessing den Handlungsknoten zugunsten allseitiger Umarmung zerschlägt, macht Schmiedleitner den Spielverderber. Nicht nur, dass er die Banalität der Kolportage ausstellt, er hält sogar dagegen. Wenn sich plötzlich, statt nach eigener Facon selig zu werden, alle Weltanschauungen gegenseitig niederknallen, ist der Behauptung einer Vision die Erfahrung von Gewalt gegenübergestellt. Man muss, man darf das so nicht akzeptieren aber wer könnte den Wahrheitsgehalt bestreiten. Dass der zum Finale nicht mehr „werktreue“ Regisseur, der in einigen Blindstellen auch mal Erklärungen einfach schuldig bleibt, beim Verbeugen auf seinem großzügig verteilten Kunstblut ausrutschte, mag ein Zeichen höherer Gewalt gewesen sein. Im Diesseits gab es langen Beifall ohne Widerspruch für eine mutige Theater-Tat.
Dieter Stoll – Abendzeitung Nürnberg – 01.11.2010

Prev PLATONOW • TSCHECHOW
Next OUT OF RÖTHENBACH • LOPICIC

Comments are closed.