DAS HIMBEERREICH • VEIEL

DAS HIMBEERREICH • VEIEL

Premiere – Samstag, 26. Oktober 2013

Regie: Petra Luisa Meyer, Bühne: Stefan Brandmayer, Musik:Bettina Ostermeier, Dramaturgie: Katja Prussas

Ich spiele den Fahrer Heinz Helmut Hinz
Foto © Marion Bührle

Inhalt

Die Krise ist da! Europas Sinn- und Wirtschaftskrise! Das war noch nicht das Ende der Fahnenstange! Mit voller Wucht kehrt die Krise zurück!
So oder so ähnlich klingen seit dem 15. September 2008 die Schlagzeilen. Diese Krise lässt nicht nur die Europäische Union seit ihrer Gründung schwer ins Schlingern geraten. Seitdem wird auch öffentlich diskutiert, wer eigentlich dafür die Verantwortung trägt: Die Staaten, die Bad Banks, die Investmentbanker, die Top-Manager, wir alle oder doch Kriminelle? Wer blickt wirklich hinter die Kulissen der Finanzjongleure? Wer deckt eigentlich wen? Geht es wie immer um Gier, Anerkennung und den besonderen Kick? Die Sprache, die Handlungsweisen, die Komplexität des Sujets, die Motive der Banken und deren internationale Verstrickungen scheinen den meisten Bürgern fremd, abstrakt und auch dubios. Das Erschreckende daran ist aber, dass das finanzielle Wohlergehen der meisten Staaten und deren Bürger davon abhängt. Das Zornkonto der Bürger ist nicht mehr im Soll und die Forderung nach Transparenz steht im Raum – europaweit.
Das war die Ausgangslage, die den Regisseur und Autor Andres Veiel dazu bewogen hat, Gespräche mit ehemaligen und aktiven Bankern aus den Führungsetagen der großen Finanzinstitute zu führen. Er verdichtet in „Himbeerreich“ (ein Ausdruck von Gudrun Ensslin, mit dem sie die reiche BRD meinte) seine Recherche von weit über 1400 Seiten Gesprächsprotokollen und gibt einen Einblick in die Gedankenwelt und Lebensgeschichten von Top-Bankern und zeigt eine Innenperspektive in jene Prozesse und Mechanismen, die unsere Gesellschaft und unser alltägliches Leben bestimmen. Er ging der Frage nach: Erzählt die Binnensicht der Akteure etwas anderes als das, was man vermeintlich immer schon gewusst hat?

Andres Veiel wurde mit zahlreichen nationalen und internationalen Auszeichnungen geehrt, darunter der Europäische Filmpreis (2001), der Deutsche Filmpreis (1994, 2002 und 2011) und der Preis der deutschen Filmkritik für den besten Dokumentarfilm (2005). Für sein bisheriges Gesamtwerk (u. a. „Black Box BRD“, „Die Spielwütigen“) bekam er 2005 den Konrad-Wolf-Preis. „Das Himbeerreich“ ist nach „Der Kick“ seine zweite Theaterarbeit.

Kritik

Bei der Premiere der unterhaltsamen Inszenierung von Petra Luisa Meyer im Nürnberger Schauspielhaus gab es verdienten Beifall für das glänzende Ensemble. Herausragend agierten die Schauspieler Nicola Lembach und Michael Hochstrasser, der mit dieser Produktion sein 30-jähriges Bühnenjubiläum in Nürnberg feiert. […]
Petra Luisa Meyer ist das Kunststück gelungen, den drögen Stoff in ein ebenso packendes wie unterhaltsames Drama zu verwandeln. […]
Entscheidenden Anteil am Gelingen hat wieder einmal das Nürnberger Ensemble, das einfach (in diesem Zusammenhang sei der Begriff gestattet) eine sichere Bank ist. Die Mitwirkenden könnten wohl auch die langweiligsten Börsennachrichten so präsentieren, dass man ihnen gebannt zuhört.
Herausragend ist diesmal Nicola Lembach, die in der Rolle der Managerin Brigitte Manzinger endlich wieder zu Bestform aufläuft. Wie sie diese zwischen Karriere und Kind, Gier und Erfolg zerrissene Frau darstellt, hat etwas von großer Tragödie. Je nach Situation agiert sie erstaunlich vielfältig – eiskalt oder emotional, geldgeil, sexy, selbstbewusst.
Im Zentrum des Stücks, das im Grunde kein richtiges Stück ist, steht das furiose Dialog-Duell zwischen der unbelehrbaren Brigitte Manzinger und ihrem nachdenklichen Kollegen Gottfried Kastein, der in der Krise als einziger das komplette System zur Diskussion stellt. Irritiert fragt er sich angesichts der gewaltigen Geldvernichtung: „Warum wird da niemand wütend? – Die eigentlichen Fragen werden nicht gestellt.“
Michael Hochstrasser spielt diesen Manager mit Hornbrille überlegt und unterkühlt. Und Jochen Kuhl muss in der Rolle des kultivierten Dr. Dr. h.c. von Hirschstein gestehen: „Da sind Dinge gelaufen, die kann man eigentlich niemandem erklären.“
Nach dem großen Knall treffen sich die erfolgsgewöhnten Überflieger im Keller wieder und machen sich mit einem kräftigen „Hossa, hossa!“ gegenseitig Mut. Da sitzen dann die Zombie-Banker (Christian Taubenheim und Pius Maria Cüppers) in einem Boot mit dem gewitzten Fahrer (Frank Damerius).
Nürnberger Nachrichten – 28.10.2013

In ihrer energisch auf knallharte Zusammenstöße hingelenkten Fassung tritt als allegorische Figur mit Zwischenruf-Funktion zusätzlich ein Wesen auf, das man in diesem Zusammenhang nun wirklich als Mittelpunktfigur betrachten darf: Josephine Köhler ist mit Dollar- und Euro-Tattoos auf den Oberarmen und einem einleitenden Katzenberger-Kichern in der Kehle schlichtweg „Das Geld“. […]

Daraus entstehen berührende Momente, wenn Michael Hochstrasser mit Ansatz zu heiligem Zorn im Trüben nach der Würde fischt, Jochen Kuhl als Senior-Banker am Status klammert, Frank Damerius den Chauffeur mit dem Volksempfinden andeutet oder Nicola Lembach die taffe Karrieristin hemmungslos über die Krise hinweg ins neue Betrugssystem lenkt
Dieter Stoll – Die Deutsche Bühne – Online – 28.10.2013

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