DER DRACHE • MEX – MARBURG EXTRA

DER DRACHE • MEX - MARBURG EXTRA

Ein Artikel von “ MARBURG EXTRA – MEX “ in Vorbereitung der Produktion

Andrea Weiß

FOLGE 1

Schauspielerin, das ist der Traum vieler junger Mädchen und der Albtraum ihrer Eltern. Die einen sehen sich umjubelt im Rampenlicht stehen, die anderen sehen einen unsicheren Job, und dann auch noch im Künstlermilieu – bloß nicht. Wie der Arbeitsalltag der Schauspielerinnen und Schauspieler aussieht, weiß meist weder die eine noch die andere Seite. Schlafen Theaterleute bis mittags, um sich dann im Straßencafe bei einem Cappuccino eine kreative Pause zu gönnen und irgendwann gegen Abend im Theater aufzukreuzen? Oder stehen sie ganz solide morgens um sieben auf und pauken konzentriert mehrere Stunden lang ihren Text? Mex begleitet die Schauspielgruppe des Hessischen Landestheaters bei ihren Proben zu Jewgeni Schwarz‘ Märchen „Der Drache“ und berichtet in einer kleinen Serie über Künstlermilieu, Text-Pauken und kreative Pausen.

Zum Arbeitstag: Der beginnt in der Regel gegen zehn Uhr und wie in jedem guten deutschen Büro wird zuerst die Kaffeemaschine angeworfen. Ab halb zehn treffen jede Menge Leute ein, von denen der fleißige Theatergänger natürlich einige erkennt: Peter Radestock zum Beispiel oder Fred Graeve.

Unvermittelt beginnt die Probe

Pünktlich und ziemlich unvermittelt beginnt die Probe, und der Beobachter orientiert sich erst einmal: Klar, in der Mitte des Raums, das sind die Schauspieler, die sich für die Szene platzieren. Zwischen ihnen läuft der Regisseur hin und her und erklärt seine Vorstellungen. Am Rand sitzt eifrig schreibend die Regieassistentin, und neben ihr sitzt jemand, dessen Funktion man zunächst nicht erkennt, bis die Probe beginnt und er laut Textpassagen in den Raum wirft – ach ja, der Souffleur. Er hat, das ist ziemlich schnell zu merken, bei den Proben eine tragende Rolle.

Zum ersten Mal wird die Szene geübt, und kaum einer der Schauspieler kennt seinen Text. Einige spielen mit dem Textheft in der Hand, anderen spricht Souffleur Bernd Kruse den Text komplett vor. Dabei muss er jeden Schauspieler kennen: Stichwort oder kompletter Text gewünscht? Ein guter Souffleur kann schnell und sensibel reagieren.

Geprobt wird an diesem Tag eine Hochzeitsszene. Bürgerinnen und Bürger bilden ein Spalier, durch das sie paarweise schreiten, um dem Brautpaar zu gratulieren. Gespielt wird ohne Bühnenbild, ohne Kostüme und ohne Statisten. Die allerdings würden zum Spalierbilden gebraucht, und so verpflichtet Regisseur Frank Damerius kurzerhand einige Anwesende – Dramaturginnen werden ebenso eingespannt wie Vertreterinnen der Presse.

Knapp ist auch die Besetzung, und so steht Souffleur Kruse in dem Stück ab und zu als Bürger oder Schneider auf der Bühne, Schauspieler Jürgen H. Keuchel ist Schmied, Bürger und Fleischer in einer Person und auch Regisseur Damerius muss ab und zu den Bürger mimen – was ihm im Eifer der Probe allerdings meistens entfällt. „Ach ja ich“, heißt es dann, und Damerius stürzt schnell durch das Spalier, begrüßt das Brautpaar und steht im Nu wieder als Regisseur neben der Szene.

Der Regisseur sagt wo es lang geht

Drache - Presse

Wer glaubt, dass jeder Schauspieler seine Rolle so ausgestattet, wie er möchte, liegt falsch. Der Regisseur sagt, wo es langgeht, und das nicht immer konfliktfrei. „Meist wollen , die Schauspieler etwas anderes als der Regisseur und fangen dann an zu diskutieren, besonders, wenn sie das nicht können, was der Regisseur verlangt“, sagt Radestock schmunzelnd.

Viel Zeit für Diskussionen wird allerdings kaum bleiben. Am 21. Februar haben die Proben begonnen, und schon sechs Wochen später, am 8. April, ist Premiere. „Das ist normal“, erklärt Schauspieler Gabriel Spagna. Die Schauspielerinnen und Schauspieler des Hessischen Landestheaters Marburg stecken außerdem zurzeit noch in zwei weiteren Produktionen.

Recht früh, um zwölf Uhr, beendet Damerius die Szenenprobe. Knapp zehn Mal haben die Bürgerinnen und Bürger bis dahin das Spalier gebildet und den Hochzeitsmarsch gesummt, hat Bürgermeistersohn Heinrich die Braut Elsa gegen ihren Willen verheiratet, und die Hochzeitsgesellschaft das Büfett gestürmt.

Und was machen die Schauspieler jetzt? „Schlafen“, „also ich schlafe“, „schlafen“ – fast einhellig zieht es die Schauspieler ins Bett. Grinsend bekennen sie sich zu ihrer Mittagsruhe, denn besonders arbeitseifrig wirkt das ja nun wirklich nicht. Wer sich den weiteren Tagesablauf anschaut, erkennt aber schnell, warum die Ruhepause nötig ist, Gegen sechs Uhr geht es wieder ins Theater zu Proben, meistens ist abends eine Aufführung, oft fährt die Truppe im Bus zu entlegenen Spielorten, denn als Landestheater tritt das Marburger Schauspiel nicht nur in der Unistadt selbst auf. Selten kommen die Schauspieler vor ein Uhr ins Bett.

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Da ist die Zeit zwischen eins und sechs Uhr nachmittags besonders wichtig – und das nicht nur für den Mittagsschlaf, sondern auch zum Textlernen, Einkaufen, Freunde treffen und alles, was sonst noch erledigt werden muss.

Im nächsten Teil der Serie berichtet Mex über eine Ballettszene.

FOLGE 2

Ballettprobe: Das klingt nach einem netten Nachmittag mit Spitzentanz und weißem Kleid. Doch dann ist alles ganz anders. Statt einer grazilen Ballerina werfen zehn Menschen aus Plastikaugen starre Blicke in den Raum. Sie schreiten im monotonen Gleichmaß zu seelenloser Musik über die Bühne und erinnern kein bisschen an Nussknacker oder sterbenden Schwan. Beklemmend wirkt das Ganze – bis die Musik verklingt. „Das ist ja ein Yeti-Auftritt hier“, mokiert sich Peter Radestock und hängt sich seine Plastikaugen übers Ohr. Auch, die anderen Schauspieler albern herum: Stirn, Nase, Hals – auf einmal hängen die Glupschaugen überall. Dabei hat sich die Requisite solche Mühe gegeben, aus Tischtennisbällen und Gummibändern „Spitzel-Augen“ zu fabrizieren – nur bequem sind sie nicht.

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Sieben Proben sind noch lange nicht genug 

Geprobt wird die Anfangsszene zu Jewgeni Schwarz‘ Märchenkomödie „Der Drache“. Regisseur Frank Damerius, noch bei der letzten Probe des Hessischen Landestheaters Marburg ständig in Aktion, ist heute „aus dem Rennen“. Choreograph Charles Guillaume hat das Sagen. Die Schrittfolgen haben die Schauspieler schon in den vergangenen sechs Ballettproben gelernt, nun geht es um Ausdruck und den letzten „Schliff“. Sieben Proben sind dem freischaffenden Choreographen lange nicht genug: „Ich bräuchte eigentlich viel mehr Zeit“, moniert Guillaume.

Dabei wirkt das Ballett für unbefangene Beobachter schon ziemlich gekonnt: Sobald die Musik einsetzt, weicht die unbeschwerte Probenstimmung wieder der beklemmenden Atmosphäre des Balletts.

Nette Abwechslung oder ernste Arbeit – wie die Schauspieler Ballettproben empfinden, ist nicht zu merken, aber deutlich zu hören, wenn man nachfragt: „Auf gar keinen Fall ist das ein nettes Tänzchen für mich“, sagt Peter Liebaug, ziemlich entgeistert.

Drache - PresseUnzählige Male geübt

Unzählig Male hat er den Tanz geübt: Mit den anderen Schauspielern, alleine vor der Probe-, zu Hause. „Ich habe viele Jahre Tanz studiert, und weiß, dass man üben muss, bis es einem zum Halse heraushängt. Erst dann beherrscht man es richtig“.Was in dem Probenraum einwandfrei zu klappen scheint, kann im Theater ganz anders aussehen. Licht, Raumgefühl, der Platz auf der Bühne“ – alles ist ungewohnt. Platz gibt es auf der Bühne allerdings zurzeit noch gar nicht. Während die Schauspieler das Ballett proben, arbeiten Bühnenbilder und Theatermaler in der Stadthalle an den Kulissen.

Wie aus Plastikkanistern und Klebeband furchterregende Drachenköpfe entstehen, beschreibt die nächste Folge der mex-Theaterserie.

FOLGE 3

Drache - Presse

Auf der Jagd nach „Theaterläusen“

Wie beim Marburger Schauspiel mit Hilfe von Insektenvernichtungs-Spritzen und Kanistern das Bühnenbild entsteht

Eine riesige Leinwand nimmt den gesamten Platz des Bühnenbodens in der Stadthalle ein. Nur ein einsamer Mensch befindet sich auf der Bühne – und der ist gerade dabei, den Boden mit einer Insektenvernichtungs-Spritze zu besprühen. „Ich jage Theaterläuse“, lacht Sergej Fuchs, der mit seiner Pestizid-Spritze wie ein Kammerjäger wirkt und in Wirklichkeit Theatermaler ist. Aus der Leinwand, die er mit grauer Farbe, besprüht, wird der eiserne Vorhang für die Aufführung der Märchenkomödie „Der Drache“ des Hessischen Landestheaters Marburg.

Zwanzig Liter Farbe hat Sergej Fuchs bereits verbraucht, um auf dem Stoff eine, trostlose, graue Eisenwand entstehen zu lassen, leicht rostig und mit alten Werbeplakaten aus der Nazi-Zeit beklebt.

Malen auf der Bühne

Solche „Prospekte“, wie sie im Fachjargon heißen, gehören zu Fuchs‘ üblicher Tätigkeit, der Arbeitsplatz ist eine Ausnahme: „Ich hätte die riesige Leinwand in meinem Malsaal einfach nicht untergekriegt“.

Wer dem Theatermaler zu seinem Arbeitsplatz folgt, stimmt ihm sofort zu. In einem Nebengebäude der Stadthalle geht es erst in die Schreinerei, wo alle Holzteile für die Kulisse zugeschnitten werden. Durch die Schreinerei gelangt Fuchs in einen mittelgroßen Raum, für, den die Bezeichnung Malsaal schon recht übertrieben wirkt.

Mit handfester Arbeit läßt der Theatermaler dort überraschende Scheinwelten entstehen. Bedrohlich steht ein großer Stacheldrahtzaun mitten im Raum – und entpuppt sich beim Anfassen als harmloses, grau besprühtes Kordelgerüst. Auch die drei riesigen Drachenköpfe möchte man lieber nicht in der Dämmerung sehen – bis Fuchs erzählt, dass diearmen, rumpflosen Geschöpfe im wesentlichen aus alten Plastikkanistern bestehen.

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Teppiche und Sägespäne

Während große Theater mit professionellen Kunststoffen arbeiten, ist Fuchs auf seine Kreativität und Materialien wie alte Teppiche, Sägespäne und Styropor angewiesen. Die Kulisse muss nicht nur gut aussehen, sondern auch einiges aushalten. Die Drachenköpfe etwa überstehen einen Sturz von sieben Metern Höhe auf den Bühnenboden, ohne unten noch dreimal in die Luft zu springen – was im Publikum wohl eher für Erheiterung als für Erschrecken sorgen würde.

Wer wissen möchte, wie das Bühnenbild insgesamt aussieht, braucht dafür kein ausgeprägtes Vorstellungsvermögen, sondern nur einen scharfen Blick. Überall im Malsaal stehen Miniaturen herum. Diese detailgetreue Theater-Puppenstube stammt von Bühnenbildner Klaus Weber, umgesetzt wird sie von Sergej Fuchs.Keine lange Lebensdauer

Eine lange Lebensdauer allerdings haben Fuchs‘ Kunstwerke nicht. Nach der Spielzeit des Stückes werden sie auseinandergenommen, zersägt, zerschnitten. Aus Drachenköpfen und Stacheldrahtzaun werden wieder Plastikkanister und Holzlatten: Material für die nächste Kulisse.

FOLGE 4

Drache - PresseBleiche Gestalten warten in den Gängen“Im letzten Teil der Theater-Serie beschreibt mex Kostümproben und die Premiere der Märchenkomödie „Der Drache“Die Nervosität steigt. Nur noch ein paar Tage bis zur Premiere von Jewgeni Schwarz‘ Märchenkomödie „Der Drache“: Jetzt muss alles zusammen passen. Die Kostüme sollen sitzen, die Maske wird ausprobiert, das Bühnenbild, auf seine Tauglichkeit überprüft, die Beleuchtung getestet. Für die Schauspieler bedeutet das stundenlange Proben. Nadelöhr ist diesmal die Maske. Alle , Statisten und Schauspieler werden heute von Maskenbildnerin Anke Nesjada und einer Aushilfe zum ersten Mal geschminkt. Die, die bereits fertig sind, füllen Gänge und Garderoben: geisterhaft weiß geschminkte Gesichter haben sie, graue Falten um den Mund und Plastik-Glatzen auf dem Kopf. Effekt: Niemand erkennt sich wieder. Sekundenlang starren sich die Schauspieler ins Gesicht, bevor sie wissen, wen sie vor sich haben.

Auch die Schneiderinnen des Hessischen Landestheaters, die nebenan sitzen, erkennen die Schauspieler nur noch an deren Kostümen – denn die haben sie schließlich selbst genäht. 48 Kostüme mussten Gisela Schmidt, Claudia Siebenborn und Kathleen Wilhelm für die Aufführung schneidern.

Jetzt kommen die Feinarbeiten auf sie zu: Der eine möchte gerne noch eine Schlaufe für sein Messer, dem nächsten rutscht die Hose , ist der Hut zu eng oder die Fliege zu weit. „Oft ist es so: Je schlechter die Tagesform, des Schauspielers, um so schlechter passt auch sein Kostüm“, erzählt Kathleen Wilhelm.

Nach zwei Stunden Geschminkt-werden, In-den-Gängen-Rumstehen und Kostüme-Anprobieren beginnt die Bühnenprobe. Wer annimmt, dass jetzt hinter der Bühne eine Menge los ist, liegt falsch. Wie leer gefegt sind die Gänge. „Jeder verkriecht sich jetzt in irgend , eine ruhige Ecke“, erzählt Schauspieler Peter Radestock, der im Aufenthaltsraum vor seinem Textheft sitzt. Konzentration und Ruhe sind angesagt, und die Proben-Beobachterin verzieht sich besser – bis zur Premiere.

Gelassen schlendern die Premieren-Besucher zu ihren Plätzen, schauen sich auf dem dahin noch die Probenfotos an, die die beiden Fotografen Dennis Jagusiak und Jonas Roick im Foyer ausstellen, werfen einen kurzen Blick auf die Bühne. Und jemand, der die Proben miterlebt hat?

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Der erkennt natürlich den eisernen Vorhang sofort wieder, der vor kurzem noch auf der Bühne von Theatermaler Sergej Fuchs mit zwanzig Litern Farbe besprüht worden ist. Der kennt auch das „Spitzelballett“, mit dem die Aufführung beginnt, noch genau aus den Proben und merkt doch schnell: Mit Beleuchtung, Musik und Kostümen wirkt alles noch einmal ganz anders.Die Nervosität, die bei der Kostümprobe, deutlich , zu spüren war, ist den Schauspielern bei der Premiere nicht mehr anzumerken – wohl aber dem Hund, der zu Beginn des Stücks mit einem Wachsoldaten an der Grenze patrouilliert. Er wedelt aufgeregt mit dem Schwanz, bellt laut und springt an dem Grenzposten“ hoch, der versucht, ihn möglichst unauffällig zu beruhigen – gespannt beobachtet von den Zuschauern in den ersten Reihen, die wohl schon langsam überlegen, ob sie nicht besser in Deckung gehen.

Viel häufiger als bei den anderen Zuschauern wandert der Blick der Proben-Besucherin ins Publikum: Wie wird das Stück aufgenommen? Auf jeden Fall fesselt der „Drache“ das Publikum. Kaum jemand, der nicht konzentriert der Handlung auf der Bühne folgt.
Genau diesen Eindruck haben auch die Schauspieler des Hessischen Landestheaters Marburg. „Wir haben natürlich schon in der Pause darüber gesprochen, wie das Stück ankommt, erzählt Dramaturgin Ulrike Rohde.Richtig erleichtert ist die Theatergruppe aber erst bei der Premierenfeier nach der Aufführung- „Da sitzt man zusammen, redet über alles Mögliche und genießt die Tatsache das es gut geklappt hat, sagt die Dramaturgin.

Mit der Premiere steht das Stück . Offizielle Proben gibt es nicht mehr, und größere Änderungen an der Inszenierung auch nicht. Gespannt wartet Regisseur Frank Damerius auf Besprechungen und Reaktionen.

Sein erster Eindruck:
Ich bin froh, dass die meisten den Drachen als politisches Stück begriffen haben. Dafür haben sie zum Teil vergessen, dass es auch ein Märchen ist. Viel Zeit zum Erholen bleibt nach der Premiere nicht. Die Abendvorstellungen laufen weiter, und schon morgen, am Donnerstag, beginnen die Proben zum nächsten Stück. „Es ist wie im Fußball: Nach der Premiere, ist vor der Premiere“ sagt Ulrike Rohde.

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