DIE SCHUTZBEFOHLENEN • JELINEK
DIE SCHUTZBEFOHLENEN • JELINEK
Premiere – Samstag, 20. Februar 2016
Regie: Bettina Bruninier, Ausstattung: Mareile Krettek/Teresa Vergho, Musik: Bettina Ostermeier, Dramaturgie: Horst Busch
Ich spiele verschiedene Rollen
Foto © Marion Bührle
Sie verlassen ihre Heimat und flüchten vor Krieg, Terror und Not. Sie schenken den Worten „Die Menschenwürde ist unantastbar“ Vertrauen und müssen die Erfahrung machen, dass das Gesagte oft nicht von Dauer ist. Elfriede Jelinek leiht in ihrem Stück „Die Schutzbefohlen“ einer Gruppe von Flüchtlingen ihr Wort. Angestoßen von den Ereignissen im Herbst 2012, als Asylsuchende symbolisch den „Schutzraum“ der Wiener Votivkirche aufsuchten, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, begann die Autorin mit ihrer Arbeit. Sie ändert die Vorzeichen der antiken Tragödie „Die Schutzflehenden“ des Aischylos, macht aus Schutzflehenden Schutzbefohlene und fragt nach unserem Umgang mit Fremden. Wie viel Menschlichkeit bringen wir auf und was ist uns unser westliches Rechts- und Wertesystem wirklich wert? In Anbetracht der verschärften Situation der Flüchtlingsfrage hat Jelinek ihren sprach- und bildmächtigen Text fortgeschrieben und weitere Kommentarebenen hinzugefügt.
Die Inszenierung von Bettina Brunier am Nürnberger Staatstheater ist eine Sternstunde. […] Wenn der Chor der Schauspieler (Julia Bartholome, Bettina Langehein, Mareile Blendl, Frank Damerius, Thomas Nunner, Daniel Scholz, Philipp Weigand) Sätze wie „Wir sind gar nicht da. Wir sind gekommen, doch wir sind gar nicht da“ wie ein letztes (Über-)lebenszeichen mehr raunt als ruft, dann ist es allein die Wucht der Sprache, die sich wie ein An-Klage-Nebel im Raum verbreitet und in die letzten Winkel des Hirns und des Herzens dringt. So unmittelbar, so konkret angreifend und auf das schwankende Gewissen zielend, ist dieses „Stück der Stunde“ bislang nirgendwo gespielt worden. […] Es läuft in dieser großartigen Inszenierung – eine Sternstunde des Nürnberger Schauspiels! – alles auf das Einfordern einer eigentlich ganz simplen menschlichen Reaktion hinaus: Respekt.
(Bernd Nowack – Nürnberger Nachrichten)
Es gibt keine Rollen und Spielfiguren, nur die Darsteller (Julia Bartolome, Mareile Blendl, Bettina Langehein, Thomas Nunner, Frank Damerius, Daniel Scholz, Philipp Weigand), die als die Flüchtenden, die Fremden, aber auch als deren Feinde, die Fremdenhasser und Rassisten, die Parolen und die Phrasen beider Seiten wortgewaltig und über weite Passagen im Chor reproduzieren und denunzieren, zitieren und anprangern; Parolen, die immer wieder auch als projizierte Spruchbänder über den Bühnenhintergrund flimmern. So wie die sattsam bekannten, aber immer wieder deprimierenden Filme und verwackelten Handy-Videos von den endlosen Strömen von Menschen, die erst an Stacheldrähten und Mauern oder an den Phalanxen helmbewehrter Polizisten und Militärs zum Stehen kommen.
Diese Unerträglichkeit des gegenwärtigen Seins gießt Jelinek in ihrem sarkastischen Abgesang, in ihrer nicht endenden Trauer-, Todes- und Totenrede in eine manchmal ganz realistische, dann wieder poetisch abgehobene, beschwörende Sprache; angelehnt an Heideggers „Jargon der Eigentlichkeit“ der „Gewesenheit“ und „Geworfenheit“; oder an das rechte Raunen eines Peter Handke, die existentialistisch-nihilistische Absurdität und den Sprachleerlauf eines Samuel Beckett und die radikalen Sprachwehklagen einer“ Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ von Christoph Schlingensief. Was die ebenso eindrucksvolle wie bedrückende Nürnberger Inszenierung in einem Theater des Grand Guignol, in einem makabren Kasperl-Theater enden lässt, wenn die Schauspieler ihre Gesichter karnevalesk kalkweiß schminken und sich blutrote Clowns-Lippen aufmalen, so als ob die tödliche „Maskerade“ der ertrinkenden Flüchtlinge mit ihren signalroten Schwimmwesten nicht schon der grausamen Bilder genug wäre. Dem setzt die eingesungene Helene-Fischer-Parodie die Krone auf, wenn ihr süßlich-kitschiger Schlager „Atemlos durch die Nacht“ die „Atmungslosigkeit“ der Ertrinkenden zynisch assoziieren lässt. Volksliedgut, „Komm süßer Tod“, oder das Kindergeburtstagslied „Wie schön, dass du geboren“ bist“ sorgen für bittere Ironie, die Bettina Ostermeier mit dunkel dräuender Musik unterlegt.
Diesen Schlussverkauf der Menschlichkeit, der sich in der Doppeldeutigkeit des Werbeslogan „Alles muss raus!“ schrecklich bewahrheitet, diesen Ausverkauf der Zivilisation, unsere Ohnmacht und Hilflosigkeit angesichts eines säkularen, aber höchst gegenwärtigen Notstands der Menschenwürde führen die Nürnberger „Schutzbefohlenen“ so eindringlich vor Augen, dass das Publikum erst betroffen zögerlich, dann umso stürmischer mit Beifall reagiert.
(Friedrich J. Blöder – Fränkischer Tag)
Comments are closed.